Meet the expert Vol. 3

Martin Egerth im Interview über das Trainingsangebot der Human Factors Academy

Beyond Aviation / Human Factors Academy

„Zwischenmenschliche Kompetenzen wurden in der Pandemie noch wichtiger“

 

Das „Human Factors Training“ ist in der Luftfahrt ein wesentlicher Bestandteil der Aus- und Weiterbildung von Kabinen- und Cockpitpersonal. Im Crew Ressource Management (CRM) werden Kompetenzen, wie zum Beispiel Teamkommunikation und Entscheidungsfindung trainiert. Bereits seit einigen Jahren bietet Lufthansa Aviation Training (LAT) neben den klassischen CRM-Trainings auch Weiterbildungen für Medizinisches Fachpersonal an. Herr Egerth, wie kam es zu der Idee, das Angebot auf eine andere Branche auszuweiten?  

 

Egerth: Die Luftfahrt hat bereits sehr früh und leider auch schmerzlich durch einzelne Vorfälle erkannt, welche Rolle der Faktor Mensch im Gesamtgefüge eines Fluges spielt und dass durch Training, Einführen von Checklisten, Etablieren einer Sicherheitskultur und Verbesserung der Automation aus dem Risiko- der Sicherheitsfaktor Mensch werden kann. Andere Industrien sehen die Luftfahrt daher als großes Vorbild, wenn es um Sicherheit, den Faktor Mensch und Teamarbeit geht. Vor einigen Jahren kam die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie auf mich zu. Denn die zwischenmenschliche Situation in beispielsweise einem Operationssaal ähnelt dem Zusammenspiel einer Crew an Bord. Das war der Startschuss für ein nachhaltiges, interdisziplinäres und interprofessionelles Trainingskonzept für alle im Gesundheitswesen tätigen Menschen. Ziel war und ist die Stärkung des Faktors Mensch durch kompetenzbasiertes Training, die Entwicklung psychologisch sicherer Teams und dadurch die Erhöhung der Mitarbeiter- und Patientensicherheit.

 

Worin liegen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Training von Flight Crews und medizinischem Fachpersonal? Werden in den Kursen die gleichen Kompetenzen geschult?

 

Egerth: Die Unterschiede sind nicht groß, denn die Kompetenzen, die für den Alltag und herausfordernde Situationen benötigt werden, ähneln sich stark. Es geht um Kommunikation, Auftreten, Haltung, Fehlermanagement, Situationsbewusstsein, Teamwork, Empathie, Emotionale Intelligenz, Führung und Resilienz. Ich könnte noch einiges mehr aufzählen, denn der Mensch hat viele Facetten und benötigt unterschiedliche Fähigkeiten für unterschiedliche Berufsabschnitte und Branchen. Vieles davon scheint im ersten Moment selbstverständlich, wird aber meist in der Praxis dennoch vernachlässigt und erfordert gezieltes, kompetenzbasiertes Training. Genau das bieten wir bei LAT erfolgreich an.  

 

Was genau ist unter dem bereits angesprochenen kompetenzbasierten Training zu verstehen?  

 

Egerth: Die Teilnehmenden unserer Kurse lernen nicht einfach theoretisches Wissen auswendig, sondern wenden Kompetenzen in realitätsnahen Szenarien konkret an. Das schaffen wir, indem wir Beispiele und Übungen aus dem Berufsalltag in das Training integrieren. Die richtige Wahl der Fallbeispiele spielt dabei eine große Rolle, weshalb wir in der Regel Filme und Übungen aus den jeweiligen Arbeitsumfeldern verwenden. Darüber hinaus ist für den Trainingserfolg die richtige Trainerkonstellation enorm wichtig, also die Einbindung von Expert:innen der betreffenden Branche. So ist bei unseren medizinischen Trainings immer eine Pilot:in und eine Ärzt:in anwesend. Wir wissen, wie und welche Kompetenzen geschult werden müssen. Das bieten wir möglichst realitätsnah an. Den finalen Transfer in den eigenen Berufsalltag und die Selbstreflektion müssen die Teilnehmenden allerdings selbst leisten.

 

LAT hat für diese Trainings kürzlich eine eigene Marke gegründet. Wie kam es zu der Entscheidung, die Aktivitäten unter dem Namen „Human Factors Academy“ zu bündeln und welchen Mehrwert bietet dies?  

 

Egerth: Wir haben uns in den vergangenen Jahren so viel Wissen, Kompetenz und Erfahrung aufgebaut, dass es nun an der Zeit ist, das Angebot zu erweitern und weitere Industrien anzusprechen. Und das freut mich besonders. So wird das Produkt für alle Branchen intuitiv greifbarer und erhält eine ganz andere Sichtbarkeit. Selbstverständlich ist es auch ein Ziel, in diesem Produktbereich allmählich zu wachsen. Ich hoffe und bin fest davon überzeugt, dass wir, so wie wir es in der Luftfahrt schon lange sind, zu einem zuverlässigen, langfristigen und kompetenten Partner für alle Personen, Teams und Organisationen werden, die den Faktor Mensch stärken wollen. Denn das führt zu Motivation, Arbeitszufriedenheit, Mitarbeiterbindung und am Ende auch zu wirtschaftlichem Erfolg.  

 

Welche Produkte werden fortan angeboten?

 

Egerth: Das Produktportfolio besteht aus klassischen Human Factors Trainings mit dem Ziel, von und mit der Luftfahrt zu lernen. Dazu zählen Basic, Advanced und Leadership Kurse, inklusive des klassischen „Blicks hinter die Kulissen“. Darüber hinaus bieten wir Kurse zu den Themen „Customer & People“, „Haltung und Erscheinung“ oder „Deeskalation“. Auch Coaching-Angebote und Vortragsreihen sind geplant. Grundsätzlich handelt es sich um standardisierte Trainings, wobei einzelne Module ab einem bestimmten Auftragsvolumen gemeinsam mit den Kunden individualisiert werden können. Neu ist auch die Anwendung eines so genannten Kompetenzradars. Die Teilnehmenden wissen dabei im Vorfeld, welche Kompetenzen von ihnen erwartet und welche Kompetenzen durch das Training gestärkt werden.

 

An wen richtet sich das erweiterte Trainingsangebot?

 

Egerth: Der Fokus liegt in erster Linie auf B2B-Kunden. Wir können in Zusammenarbeit mit Unternehmen am besten die branchenrelevanten Trainingsinhalte definieren und anpassen. Das Gesundheitswesen ist sicher auch weiterhin einer der größeren Schwerpunkte für uns, da wir in den letzten Jahren ein umfangreiches Trainingskonzept entwickelt und durchgeführt haben. Aber auch Unternehmen aus den Bereichen Pharmazie, Chemie, öffentlicher Dienst, Banken, Tourismus, Schienenverkehr oder Fahrschulen zählen schon heute zu unseren Kunden, weitere sollen folgen. Kurz und knapp: unser Training richtet sich an alle Unternehmen, die interpersonelle Kompetenzen bei ihren Mitarbeitenden stärken möchten.

 

Die Corona-Pandemie hat das berufliche und private Miteinander stark verändert. Inwiefern hatte die Krise auch einen Einfluss auf die Trainings von LAT?

 

Egerth: Es wäre gelogen, zu sagen, es hätte sich nichts geändert. Viele Dinge, die vorher im Bereich interpersonelle Kompetenzen undenkbar waren, wurden nach langer Zeit nun doch umgesetzt. Damit meine ich die plötzliche Umstellung auf virtuelle Trainings, virtuelle Konferenzen, Workshops oder Coachings. Für einen gewissen Zeitraum oder als Teil eines „blended“ Trainingsapproach ist das durchaus nicht verkehrt. Einige dieser Dinge sollten wir auch in Zukunft beibehalten. Dennoch ist es wichtig, dass wir die Menschen wieder zusammenbringen. Gerade Aspekte wie Kulturveränderungen, das Entwickeln und der Aufbau von psychologisch sicheren Teams gehen im „echten“ Leben besser.

 

Das heißt, in der Zeit nach der Pandemie gewinnt das Training von interpersonellen Kompetenzen umso mehr an Bedeutung?

 

Egerth: Richtig, der Faktor Mensch war noch nie so wichtig wie jetzt. Für mich hat die Pandemie gezeigt, dass wir uns um unsere Mitmenschen und Mitarbeitenden kümmern müssen. Wir müssen ihnen helfen, neue Situationen zu verstehen, Veränderungen zu akzeptieren und die innere Haltung anzupassen. Dazu gehört auch, ihnen einen Platz zum Austausch zu geben, Empathie zu zeigen, mehr miteinander zu reden und zu versuchen, die durch die virtuellen Systeme aufgebaute Anonymität wieder persönlich zu machen. Wir alle sollten hier als Vorbild handeln. LAT ist dabei der verlässliche Trainingspartner, um Unternehmen und Menschen genau bei dieser Transformation zu unterstützen. Es ist wichtig, nach der Pandemie nicht einfach zum normalen Alltag zurückzukehren. Wir sollten das, was wir in dieser Zeit gelernt haben, für einen Neustart und Verbesserungen nutzen.

 

Herr Egerth, vielen Dank für das Gespräch.

Über Martin Egerth

Martin Egerth, Diplom-Psychologe, ist Experte für Human Factors Training und verantwortet bei Lufthansa Aviation Training (LAT) den Produktbereich „Beyond Aviation Training“. Wir sprachen mit ihm über die Gemeinsamkeiten zwischen Luftfahrt und Medizin und LATs Trainingsangebot für Aviatik-ferne Branchen.